Nachlese zum Science Talk > Der schmale Grat zwischen Freiheit und Zwang
Link zur Mediendatenbank des BMBWF:
Wien (APA-Science) - Ziel Nummer 12 der von den Vereinten Nationen formulierten Sustainable Development Goals ist die Sicherstellung nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster. "Aber wie viel Freiheit können wir uns am Weg dorthin leisten?", fragte Journalist David Rennert die vom Bildungsministerium geladenen Forschenden zum Beginn der Podiumsdiskussion am Montagabend.
"Aus Sicht der ökologischen Ökonomie ist eine Produktionsweise dann nachhaltig, wenn sie unendlich lang oder für sehr lange Zeit fortsetzbar ist", erklärte die Sozioökonomin Sigrid Stagl von der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. "Zukunftsträchtig" müssen nachhaltige Produkte sein, ergänzte Patrick Frey von der Universität Linz. Dabei würden die sogenannten Basisstrategien der Nachhaltigkeit helfen: Kreislauffähigkeit, lange Lebensdauer sowie Reparaturmöglichkeiten und, erst wenn diese Kriterien erfüllt sind, Effizienz im Hinblick auf eine ressourcenschonende Produktion.
Wege zur nachhaltigen Produktion
Aber wie könnte der Weg zu nachhaltiger Produktion und verantwortungsvollem Konsumverhalten aussehen? Preise sind dabei unter anderem wichtig: "Wir wissen zwar nicht, was korrekte Preise sind, aber schon, was ökologisch korrigierte Preise sind", erklärte Stagl. So gebe es etwa eine historische Erklärung für die Preisunterschiede zwischen einer Flug- und einer Zugreise, aber die Preise reflektieren weder die gesellschaftlichen Kosten der jeweiligen Reiseart, noch seien sie auf Dauer verantwortbar.
Darüber hinaus könne ein verändertes Verständnis von Märkten helfen: Solche sozialen Institutionen können auch als Regelwerke gedacht werden. "Einen freien Markt ohne Regeln gibt es nicht - da wäre etwa nicht einmal Vertragssicherheit gegeben", so Stagl. "Die Regeln, die man dem Markt gegeben hat, sind also historisch gewachsen. Das bedeutet auch, dass wir uns andere Regeln ausdenken können, wenn wir nicht zufrieden sind." Das klassische ökonomische Denken über den Markt als "magischen Ort, wo Angebot und Nachfrage zusammenkommen und einen optimalen Gleichgewichtspreis finden", sei dabei wenig hilfreich.
Auf der anderen Seite sind Regeln und Institutionen sehr wichtig, um Unsicherheiten zu reduzieren und weil sie das menschliche Handeln sehr stark beeinflussen, so Stagl. Zwar beschränken Regeln auf der einen Seite das Handeln, auf der anderen Seite haben sie aber auch eine befähigende Funktion. Das Rauchverbot in Großbritannien nannte sie als persönliches Beispiel: Während ihrer Schwangerschaft konnte sie dort nicht in Pubs gehen, nach der Einführung des Rauchverbots in ihrem vierten Schwangerschaftsmonat war sie auf einmal wieder befähigt, am sozialen Leben dort teilzunehmen, ohne ihr ungeborenes Kind zu gefährden.
Tempolimits, unternehmerische Glaubwürdigkeit
Niedrigere Tempolimits würden dementsprechend zwar Autofahrer einschränken, aber andererseits eine sicherere Umwelt an Orts- und Landstraßen schaffen, Emissionen reduzieren und letzten Endes Entwicklungschancen für zukünftige Generationen bieten. Die große Kunst sei, Politik so zu machen, dass sich die befähigende Funktion ausbreitet. "Damit positioniere ich mich auch mit diesem Beispiel: Tempolimits wären richtig cool!", sagte Stagl.
Oft gestellt würde die Frage, ob Unternehmen wirklich motiviert sind, im Sinne der Nachhaltigkeit zu handeln, oder ob sie nur das Minimum tun, um einem aktuellen Trend gerecht zu werden. "Erstere sind leider eine sehr große Ausnahme - deswegen finde ich es gut, wenn es Regeln gibt, damit alle aktiv werden", erklärte Frey. Diese müssten allerdings klar kommuniziert werden und sinnvoll sein, um es den Unternehmen leichter zu machen, ihnen zu folgen und Trotzreaktionen zu vermeiden.
Kein Allheilmittel
Allheilmittel gebe es bei alledem keines, sind sich die Forschenden einig. Es brauche eine ganze Reihe von klug kombinierten Maßnahmen. "Der andere Aspekt der Antwort tut mehr weh: Es ist auch ein Ringen darum, so zu leben und so zu produzieren, wie es verallgemeinerbar wäre", sagte Stagl. In OECD-Ländern würden wir aktuell nicht so leben und wirtschaften, wie es auf der ganzen Welt im Hinblick auf die planetaren Grenzen möglich wäre. Technologien und hohe Kooperationsfähigkeit nannte Stagl als Gründe, trotz allem optimistisch und motiviert zu bleiben. "Wenn man Menschen den Raum gibt, gemeinsam Zukunftsbilder zu entwickeln, dann werden sie in meiner Erfahrung sehr schnell kreativ und wollen Teil der Lösung sein", sagte sie weiter.
Im Zusammenhang damit müsste sich die Gesellschaft die Frage stellen, ob wir die richtigen Werte herstellen, ergänzte Susanne Feiel, die die Abteilung "International Relations and European University" an der Montanuniversität Leoben leitet. "Ist etwa ein 200 Quadratmeter Eigenheim denn wirklich so erstrebenswert? Arbeiten wir wirklich auf die richtigen Dinge hin?" - Diese Werte würden sich ihrer Ansicht nach langsam, aber doch, verändern.
fcz/asc
SCI0012 2024-11-19/11:22
191122 Nov 24