Nachlese zum Science Talk > Wie gefährlich sind Viren? Infektionskrankheiten und ihre möglichen Folgen
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Wien (APA-Science) - Infektionsverläufe sind so individuell wie der Mensch. Viren trainieren unser Immunsystem, können aber auch sehr gefährlich werden - bis hin zu drohenden Langzeitfolgen. Die tatsächlichen Auswirkungen sind von vielen Faktoren abhängig, erklärten Expertinnen und Experten beim Science Talk des Wissenschaftsministeriums Montagabend in Wien.
Viren spielen eine wichtige Rolle in unserem Leben. "Wir haben alle virale DNA in uns", sagte die Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl von der MedUni Wien: "Irgendwann wurde gezeigt, dass es uns als Säugetiere nur aufgrund von Viren gibt. Ohne Viren gäbe es uns eigentlich nicht." Und auch wenn Erkältungen sehr lästig sind, sie haben eine positive Seite: Sie halten das Immunsystem quasi in Schuss.
Aber Viren können dem Menschen auch sehr gefährlich werden. Mit der Corona-Pandemie im Rückspiegel, stellen sich viele die Frage nach den potenziellen Langzeitfolgen. Herpes-Viren sind oft harmlos, jeder trägt sie in sich, aber der Epstein-Barr-Virus zum Beispiel kann auch Tumore und Multiple Sklerose verursachen. Unabhängig von der Schwere eines Covid-19-Verlaufs leiden manche Betroffene später unter einem Zustand der extremen Erschöpfung, dem Chronischen Fatigue-Syndrom, auch ME/CFS oder CFS genannt. Und das ist nur eine von etwa 200 Spätkomplikationen, die unter dem Begriff "Post-Covid-Syndrom" zusammengefasst werden können.
"Man muss sich bewusst sein, dass Betroffene es zum Teil nicht mehr aus dem Haus schaffen", sagte Arschang Valipour, Vorstand der Abteilung für Innere Medizin und Pneumologie an der Klinik Floridsdorf. Der Wiener Arzt führt aktuell eine Behandlungsstudie durch und manche Patienten und Patientinnen fühlen sich so erschöpft, erzählt er, dass sie es nicht ins Krankenhaus schaffen.
Immunsystem will "trainiert" werden
Exponieren oder verschanzen, das ist die Frage, die sich viele stellen. "Es macht keinen Sinn, sich zu verbarrikadieren", so Valipour. Schwerwiegende Viren wie Masern oder Influenza sollte man natürlich nicht heraufbeschwören, aber vor allem im Kindesalter, da war sich die Expertenrunde einig, sei es gut, in Kontakt mit "banalen" Viren zu kommen. "Grundsätzlich ist es wichtig, dass das Immunsystem seiner Funktion nachgehen und ein Gedächtnis von banalen Infekten aufbauen kann, gerade in der Kindheit", erklärte Eva Untersmayr-Elsenhuber vom Institut für Pathophysiologie und Allergieforschung an der MedUni Wien. "Das heißt, diese wiederkehrenden Infekte sind für unser Immunsystem ein wichtiges Training."
Verallgemeinern kann man das nicht. "Genauso individuell wie wir alle sind, genauso unterschiedlich wirken sich Infektionen auf unser Organsystem aus", betonte Valipour. Aus der Erfahrung mit Influenza zieht der Lungenfacharzt die Erkenntnis, dass das "mit dem Training, vor allem bei älteren Personen nicht mehr so gut hinhaut". Denn das Immunsystem wird mit dem Alter schwächer. "Jede Infektion dürfte das Immunsystem so stark schwächen, dass auch weitere Infektionen auftreten können", so Valipour. "Ein Drittel unserer Bevölkerung gehört zu einer vulnerablen Gruppe. Die sollte man versuchen, besonders gut zu schützen."
Keine dauerhafte Schädigung nach Covid-19
Von Masern weiß man schon lange, dass sie das Immunsystem über längere Zeit stark schwächen. In der öffentlichen Wahrnehmung, so der Moderator des Abends, Köksal Baltaci von der Tageszeitung "Die Presse", scheint die Meinung vorzuherrschen, dass das auch nach einer Covid-19-Infektion der Fall sein könnte. Puchhammer-Stöckl entwarnte. Natürlich hätte sich die Wahrnehmung in der Bevölkerung dafür "geschärft", sagt die Wissenschafterin, aber von einer dauerhaften Schädigung sei nicht auszugehen: "Nach Influenza und Corona ist man vulnerabel, aber eine nachhaltige Schädigung des Immunsystems - Long-Covid ausgeschlossen - ist nicht anzunehmen. Man erholt sich davon. Alles spricht dafür."
Was es aber durchaus gibt, sind Sekundärinfektionen. "Wir sehen Personen, die Influenza oder Covid-19 durchmachen, das schaffen, und nach acht Wochen kommen sie ins Krankenhaus mit einer bakteriellen Lungenentzündung", sagte Valipour. In der Klinik Floridsdorf hat er im Durchschnitt zwischen fünf und zehn Prozent mehr Patienten und Patientinnen als in den Jahren vor der Pandemie.
Österreich kein Meister im Impfen
Dinge wie ein gesunder Lebensstil spielen bei der Prophylaxe eine entscheidende Rolle. Es sei zwar "kein hundertprozentiger Garant", aber einer der "wichtigsten Faktoren", um so lange wie möglich gesund zu bleiben, betonte Valipour. Und dann ist da noch das Impfen.
"Impfungen sind ein toller Hebel, hier prophylaktisch vorzugehen", sagte Untersmayr-Elsenhuber. "Da können wir in Österreich sicher noch aufholen." Die Runde war sich einig: Impfungen gehören zu den wichtigsten Errungenschaften in der Medizin. "Wir sehen es jetzt bei den Masern, dass vieles in den Hintergrund gerückt ist und die Impfhäufigkeit zurückgetreten ist während der Pandemie", erzählte Puchhammer-Stöckl. "Wir haben 110 Masernfälle, was vor ein paar Jahren noch undenkbar war."
Auch die Influenza-Impfrate vor der Pandemie beschrieb Valipour in Österreich als "grottig". Während der Pandemie ging sie hoch, aber bedauerlicherweise sei sie jetzt wieder gesunken. "Wir sind bei unter 10 Prozent", beklagte er. "Wir gehören in Österreich zum schlechtesten Drittel in Europa, wenn es darum geht, sich gegen die Grippe impfen zu lassen. Viel gelernt im Positiven haben wir nicht unbedingt."
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SCI0010 2024-02-20/13:32
201332 Feb 24