Universitäten: Autonomie und Aufsicht im ständigen Wechselspiel
Österreichs Universitäten sind weitgehend autonom. Dennoch nehmen das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung und andere Institutionen Aufsichtsrechte wahr. Das steht nicht zwingend im Widerspruch.
Was haben Österreichs Universitäten mit einem Tiger gemeinsam? Viel, wenn man der Wortmeldung von Alexander Schmitt-Glaeser, Abteilungsleiter im Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, folgt. „Mir kommt die Diskussion über Autonomie von und das Aufsichtsrecht über Universitäten in Österreich wie ein Tiger vor. Ein Tiger, den Sie aus dem Käfig gelassen haben und den Sie jetzt mit Aufsichtsrechten beaufsichtigen“, warf er bei der Veranstaltung „Aufsichtsrechte im Bereich der Universitäten“ ein, zu der das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) am Dienstag, den 10. Dezember 2019, in die Skylounge der Universität Wien geladen hatte.
Die Lücke im gemeinsamen Verständnis von Autonomie und Aufsicht
Diesem Sinnbild mag man folgen oder nicht. Aber es macht deutlich, für welchen Zündstoff das Spannungsfeld zwischen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Universitätsautonomie (in Artikel 81c Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG) und dem staatlich vorgesehenen Aufsichtsrecht auch heute noch – 15 Jahre nach vollständigem Inkrafttreten des Universitätsgesetzes 2002 (UG) im Jahr 2004 - sorgt. Darauf wies Elmar Pichl, Leiter der Hochschulsektion des BMBWF, bereits in seinem Eröffnungsstatement hin, als er von einem „Gap“, also einer Lücke, sprach, die es zu überwinden gelte. „Die Autoren des UG gingen damals vom größtmöglichen Verständnis von Universitätsautonomie aus, das uns bis heute prägt“, sagte er. Demnach sollte das BMBWF die Systemkontrolle wahrnehmen, aber sich bei einzelnen Beschwerden aufsichtsrechtlich zurücknehmen. „Die Frage ist, ob das mit dem heutigen Anspruch auf Rechtsstaatlichkeit vereinbar ist oder ob mittlerweile nicht ein Kulturwandel eingetreten ist. Deshalb müssen wir unser gemeinsames Verständnis von Autonomie und Aufsicht hinterfragen und neu bewerten“, meinte Pichl.
Autonomie und Aufsicht als staatliche Garantinnen für Demokratie und Bildung
Das sieht Konrad Lachmayer, Verwaltungsrechtsexperte und Vizedekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Sigmund-Freud-Privatuniversität (SFU) ähnlich, der das Grundsatzreferat auf der Veranstaltung hielt. Sein Tenor: Autonomie und Aufsicht seien notwendige Eckpfeiler, um pluralistische Demokratie und Bildung in einem Staat zu ermöglichen. „Universitäten brauchen Autonomie, weil sie nur so ihre Aufgabe als Bildungs- und Wissensvermittlerinnen wahrnehmen können. Dazu benötigen sie aber auch entsprechende Rahmenbedingungen, die ihnen der Staat durch Regulierung und Steuerung gewährleisten muss“, sagte er. (Rechts-)Aufsicht in diesem Sinne sei ein Qualitätsmerkmal, das nicht nur gegenüber den öffentlichen Universitäten, sondern auch den Fachhochschulen und Privatuniversitäten entsprechend wahrgenommen werden müsse – wenn auch in anderem Umfang und mit anderen Instrumenten. Ziel sei, in Zusammenarbeit und Kooperation ein möglichst effektives und effizientes Hochschulsystem zum Wohle aller zu schaffen.
Die österreichische Lösung – man sucht die Einigung
Dass die Realität nicht immer so rosig aussieht, belegten die Praxisbeispiele von Rechtsaufsichtsverfahren, die Siegfried Stangl und Christine Perle von der Rechtsabteilung der Hochschulsektion des BMBWF präsentierten. Allerdings führten sie auch aus, dass der/die Wissenschaftsminister/in noch nie zum Äußersten greifen und eine Verordnung (oder Satzung) einer Universität aufheben musste. „Bei uns kommt es stets zur österreichischen Lösung: Man einigt sich vor Abschluss des Aufsichtsverfahrens“, meinte Stangl.
Weniger Autonomie, weitaus schärfere Aufsichtsrechte in Bayern
So weit wie in Bayern könnte man in Österreich ohnedies nicht gehen. Dort ist es theoretisch möglich, dass das Wissenschaftsministerium eine Hochschule schließt. „Das ist bei uns in der Praxis aber auch noch nicht vorgekommen“, sagte Schmitt-Glaeser vom Bayerischen Wissenschaftsministerium. Tatsächlich komme man üblicherweise mit einfachen Informationsanfragen und Begehungen aus. Darüber hinaus gebe es auch noch die Möglichkeit von Beanstandungen von rechtswidrigen Beschlüssen, ja sogar ein Selbsteintrittsrecht des Wissenschaftsministeriums. „Das ist in akademischen Kreisen sehr umstritten. Es darf, wenn überhaupt, nur dann eingesetzt werden, wenn es für die Wahrung subjektiver Rechte notwendig ist“, sagte Schmitt-Glaeser.
So autonom wie Österreichs Universitäten sind Bayerns Hochschulen bei Weitem nicht. Allerdings wird das Bayerische Hochschulgesetz eben überarbeitet, denn Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sei durchaus dafür, „mehr Freiheit im Hochschulsystem zu wagen“. Ob das österreichische Universitätsgesetz ein Vorbild dafür sein kann, verriet Schmitt-Glaeser nicht. Er zitierte lieber Robert Musil: „Wohlwollen kann man nur durch viele kleine Schritte gewinnen.“ Das klingt nicht danach, als wolle man in Bayern den Tiger Hochschulen aus dem Käfig lassen.
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