Erasmus+ für Lehrlinge: Ziel ist die Verdoppelung der Anzahl der Auslandspraktika von Lehrlingen auf 2.000 pro Jahr bis 2027
BMBWF, BMDW, Wirtschaftskammer Österreich und OeAD stellen fünf Schwerpunkte zur Erhöhung der Lehrlingsmobilität vor
Wien (OTS) - Die Lehrlingsausbildung ist in Österreich ein wesentlicher Bestandteil des beruflichen Bildungssystems und genießt wie die aktuelle OECD-Studie „Education at a Glance“ zeigt, beachtliches Ansehen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen die Qualifizierungsnormen der Berufsausbildung den am Arbeitsplatz geforderten Qualifikationen angepasst werden und die zukünftigen jungen Fachkräfte müssen eine hohe Bereitschaft zur beruflichen Mobilität und Flexibilität sowie Bereitschaft zum lebenslangen Lernen aufbringen. Auslandspraktika wie mit Erasmus+ kommen hier eine bedeutende Rolle zu. Sie unterstützen neben der unbezahlbaren persönlichen Erfahrung und Kompetenzerweiterung für die Teilnehmer/innen auch das Innovationspotenzial und den Austausch guter Praxis.
Um mehr über Motive und Erwartungen sowie bestehende Mobilitätshemmnisse und potentielle Anreize zu erfahren, hat der OeAD als nationale Agentur für Bildung und Internationalisierung gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF), dem Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) und der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) das Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw) im Juni 2020 mit der Durchführung der Studie „Auslandsmobilität in der Lehrlingsausbildung“ beauftragt. Die Ergebnisse wurden am 30. September 2021 im OeAD mit fünf Schwerpunkten zur Erhöhung der Lehrlingsmobilität präsentiert.
Studie zeigt dringenden Informationsbedarf auf
Unter der Studienleitung von Kurt Schmid vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft wurde erstmals in Österreich eine empirische Forschungslage zur Auslandsmobilität in der Lehre erhoben. In der Studie ist ersichtlich, dass Erfahrung und Interesse von Auslandsmobilität korrelieren: Das Interesse an Auslandsmobilität für Lehrlinge ist aus Sicht jener Lehrbetriebe, die bereits Erfahrungen mit Auslandspraktika haben, mit 80 Prozent sehr groß bzw. groß gegenüber 34 Prozent bei Betrieben ohne Auslandsmobilitätserfahrung. Erfahrene Betriebe schätzen auch das grundsätzliche Interesse ihrer Lehrlinge daran mit 59 Prozent hoch ein, während dies Betriebe ohne Erfahrung nur zu 27 Prozent glauben. Den Erfahrungsaustausch zwischen Unternehmen mit und ohne Mobilitätserfahrung zu forcieren, liegt nahe. Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Studie ist, den Nutzen für Lehrlinge, Ausbildner/innen und Lehrbetriebe stärker ins Bewusstsein zu holen. Ausbildner/innen ohne Auslandsmobilitätserfahrung unterschätzen den Nutzen deutlich. Beispielsweise erwarten unerfahrene Betriebe nur zu 47 Prozent einen sehr hohen Zuwachs an Eigenständigkeit und persönlicher Entwicklung ihrer Lehrlinge (gegenüber 83 Prozent der erfahrenen Lehrbetriebe) und nur 48 Prozent glauben an einen sehr hohen Zuwachs bei Fremdsprachenkenntnissen (gegenüber 64 Prozent der erfahrenen Lehrbetriebe).
Die Studie bestätigt die Optimierungsbedarfe, sei es bei Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten oder dem Erfahrungsaustausch und der Vernetzung aller Akteure.
Faßmann: Möglichkeiten von Erasmus+ verstärkt nutzen
Bildungsminister Heinz Faßmann: „Eine internationale Ausbildung ist wertvoll in Hinblick auf verbesserte Sprachkenntnisse, das Sammeln von Erfahrungen im europäischen Raum und das Weiterentwickeln der Selbstständigkeit. Deshalb wollen wir das Interesse an Auslandserfahrungen auch von Lehrlingen befeuern. Unser Ziel ist, dass sich bis 2027 die Anzahl der Auslandspraktika von Lehrlingen auf 2.000 pro Jahr verdoppelt. Mit dem neuen Erasmus+ Programm gibt es hier ideale Rahmenbedingungen, um die Nachfrage zu steigern und europäische Fördermittel für die österreichische Berufsbildung optimal zu nutzen.“
Schramböck: Anreiz für Auslandsaufenthalte durch finanzielle Unterstützung für Lehrlinge und Betriebe
„Für mich steht fest, wer etwas leistet, soll auch belohnt werden - und was für Schülerinnen und Schüler normal ist, soll auch für die Fachkräfte unserer Zukunft normal sein - alles andere empfinde ich als Ungerechtigkeit. Die Erfahrung im Ausland hilft unseren Lehrlingen, eine breite Perspektive zu gewinnen und mit frischen, innovativen Ideen unseren Standort zu bereichern. Damit der Auslandsaufenthalt sowohl für die Lehrlinge als auch für die Betriebe zu einem Erfolg wird, unterstützen wir Lehrlinge mit einem täglichen Taschengeld von 15 Euro pro Tag im Ausland. Außerdem finanzieren wir ihnen im Vorfeld einen bis zu zweiwöchigen Sprachkurs. Die Unternehmen werden durch den aliquoten Ersatz des Lehrlingseinkommens unterstützt“, so Lehrlingsministerin Margarete Schramböck. Auch Informationsdefiziten bei Unternehmen, Berufsschulen und Ausbildungsverantwortlichen soll vorgebeugt werden. „Daher werden wir zum einen gemeinsam die Bedeutung von Lehrlingsmobilität sowohl für den persönlichen Bildungsweg wie auch für das einzelne Unternehmen deutlicher sichtbar machen und zum anderen verstärkt auf die Unterstützungsmaßnahmen zielgerichtet hinweisen, ob bei der Beantragung von Fördermitteln, der Vermittlung von Gastbetrieben und Sprachkursen oder der Begleitung von Lehrlingen vor Ort.“ Eines der Highlights wird eine Lehrlingswoche 2022 mit Veranstaltungen und Aktionen rund um das Thema Erasmus+ Lehrlingsmobilität in ganz Österreich sein.
Groß: Auslandserfahrungen von Lehrlingen sind ein Turbo für die Wirtschaft
Bei den EuroSkills 2021, der Europameisterschaft der Berufe, war Österreich die erfolgreichste EU-Nation. „Die Wettbewerbe in den einzelnen Berufen sind auch als Wettstreit der Berufsbildungssysteme zu sehen und mit seinem dualen Bildungssystem ist Österreich absolut an der Spitze. Diese Erfolge möchten wir auch langfristig halten. Wir müssen daher unbedingt die Auslandserfahrungen, die mit Erasmus+ gemacht werden können, promoten. Unsere Lehrlinge lernen neue Arbeitspraktiken kennen, sammeln Lebenserfahrung und entwickeln sich persönlich weiter. Das ist eine absolute Aufwertung der Lehrlingsausbildung und damit auch ein Turbo für die Wirtschaft,“ so Amelie Groß, Vizepräsidentin der WKÖ. Eine aktuell durchgeführte WKÖ-Blitzumfrage unter Lehrlingen ergab, dass fast die Hälfte der Lehrlinge nicht weiß, dass Auslandspraktika möglich sind und wie diese finanziert werden. „Wir setzen hier auf eine umfassende Informationskampagne für Ausbildnerinnen und Ausbildner und Unternehmen, um die Vorteile besser zu kommunizieren“, betont Groß, die für die gemeinsame Kampagne auf die regionalen Strukturen der WKÖ setzt. Für KMUs besonders relevant sind Einrichtungen, die Auslandsaufenthalte komplett organisieren. Siesollen unter anderem zukünftig ein Social-Media-Toolkit erhalten, das dabei hilft, Lehrlinge für den Auslandsaufenthalt zu begeistern.
Calice: Internationale Konferenz und Monitoring
Der OeAD ist als nationale Agentur für die Umsetzung von Erasmus+ in Österreich verantwortlich. Jakob Calice, OeAD-Geschäftsführer, streicht hervor, dass Erasmus+ die ideale Möglichkeit für junge Menschen in der Berufsbildung ist, um Karrierechancen zu verbessern. „Junge Menschen erlangen Kompetenzen und Fähigkeiten für die internationale Arbeitswelt, die einem ständigem Wandel unterworfen ist. Berufliche Aus- und Weiterbildung ist daher eines der zentralen Themen des OeAD. Die Kampagne zur Steigerung der Lehrlingsmobilität werden wir durch eine internationale Konferenz mit Ländervergleich und Austausch von Best-Practice-Beispielen unterstützen. Es gibt sehr viele innovative Bildungsprojekte von Klein- und Mittelbetrieben. Die gehören dringend vor den Vorhang geholt, um anderen Mut zu machen. Vernetzung und Erfahrungsaustausch ist das Um und Auf.“ Um neue Projekte für Lehrlinge zu initiieren, setzt der OeAD zudem auf die Organisation von regelmäßigen Austauschseminaren. Der Bildungsagentur ist weiters die Analyse der Ergebnisse aus abgeschlossenen und laufenden Erasmus-Projekten in Form eines thematischen Monitorings wesentlich. Zuletzt weist Calice auch auf die Verwaltungsvereinfachung bei Antragstellungen hin, die es seit dieser Erasmus+-Programmperiode gibt.
Detaillierte Informationen zu Erasmus+ Berufsbildung: https://erasmusplus.at/de/berufsbildung
Mit Erasmus+ Berufsbildung fördert die Europäische Union die länderübergreifende Zusammenarbeit von Institutionen, die die Berufsbildung in Europa verbessern. Neben der Modernisierung und Internationalisierung der beteiligten Organisationen stärkt das Programm die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Branchen. Das neue Erasmus+ Programm bietet im Bereich der Berufsbildung die Möglichkeit, dass sich mehrere Einrichtungen gemeinsam als Konsortium für die Programmteilnahme akkreditieren lassen. Erfahrene Einrichtungen können so weniger erfahrene sowohl bei der Antragstellung als auch der Organisation der Mobilität unterstützen oder bestimmte Aufgaben ganz übernehmen.
Das Programm bietet neben Lehrlingen, Schüler/innen der beruflichen Erstausbildung und Lernenden in der beruflichen Weiterbildung auch Lehr- und Fachkräften der Berufsbildung die Möglichkeit, mit Erasmus+ ins europäische Ausland zu gehen, um dort zu lernen bzw. zu unterrichten.
In der neuen Programmgeneration Erasmus+ 2021-2027 wird der Berufsbildungsbereich zusätzlich um die internationale Dimension gestärkt: Geförderte Aufenthalte sind unter bestimmten Voraussetzungen nun weltweit möglich.
Lernortekooperation in der Dualen Ausbildung
Die Duale Ausbildung findet in Österreich an zwei Lernorten statt: Rund 80 Prozent der Ausbildungszeit werden in einem Lehrbetrieb oder einer überbetrieblichen Ausbildungseinrichtung verbracht, rund 20 Prozent an der Berufsschule.
Das Bildungsministerium teilt sich die Zuständigkeit für die Ausbildung mit dem Wirtschaftsministerium: Das BMBWF ist für den schulischen Bereich verantwortlich, das BMDW für den betrieblichen. Den Rahmen für die Ausbildung im Betrieb bzw. in überbetrieblicher Ausbildung geben die Ausbildungsordnungen vor, jenen für die Berufsschulen die Berufsschullehrpläne, wobei der Berufsschullehrplan auf die jeweilige Ausbildungsordnung abgestimmt ist.
Lehre nach der Matura
Das Förderprogramm „Berufsmatura: Lehre mit Reifeprüfung“ des Bildungsministeriums verfolgt das Ziel, zielgruppengerechte Angebote für Lehrlinge zu schaffen, die sich parallel zu ihrer beruflichen Erstausbildung auch auf die Berufsreifeprüfung vorbereiten wollen. Damit unterscheidet sich das Programm von der traditionellen Berufsreifeprüfung, die nach dem Lehrabschluss berufsbegleitend absolviert wird.
Mit diesem sehr nachgefragten Programm wird bis zu 10.000 Lehrlingen die kostenlose und institutionell begleitete Vorbereitung auf die Berufsreifeprüfung ermöglicht. Das Programm begann mit 1. Juli 2020, endet mit 31. Oktober 2025 und umfasst 12,5 Millionen Euro an Fördersumme pro Jahr.
Verlängerte Lehrzeit und Teilqualifikation
Zudem gibt es Möglichkeiten für Jugendliche mit besonderen Bedarfslagen, die Lehrzeit um 1 Jahr zu verlängern (in Ausnahmefällen auch um 2 Jahre).
Lehrlingszahlen
Zum Stichtag 31.12.2020 wurden österreichweit 108.416 Lehrlinge (davon rund ein Drittel weiblich) ausgebildet. 2020 betrug der Anteil der Lehrlinge im 1. Lehrjahr gemessen an der Anzahl der 15-Jährigen 37 Prozent. Von den Schüler/innen der 10. Schulstufe besuchten im Schuljahr 2019/20 rund 36 Prozent eine berufsbildende Pflichtschule (Berufsschule) – die Duale Ausbildung war damit der am häufigsten gewählte Ausbildungsweg.
Aufgabe der Berufsschule: Vermittlung grundlegender theoretischer Kenntnisse in einem fachlich einschlägigen Unterricht, Förderung und Ergänzung der betrieblichen oder berufspraktischen Ausbildung, Erweiterung der Allgemeinbildung
Zum Stichtag 31.12.2020 gab es österreichweit 28.711 Lehrbetriebe. Diesen Lehrbetrieben standen 136 Berufsschulen gegenüber. Aktuell gibt es 211 Lehrberufe. Die Ausbildungsdauer beträgt je nach Lehrberuf 2 bis 4 Jahre.
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